Unter der blassroten Markise

Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahn zerstört, hungernd hysterisch nackt.
Die Narben in Extremitäten und Torsen malend Selbstjustiz heroisierend erheben, sich an Selbstwertschätzung zerzweifeln.
Die Kerze um Kerze, Zug um Zug wachsitzen, ohne Licht und Dunkel sinnen nach den großen Wahrheiten des Gottes der kleinen Dinge.
Die das Leben als eines der beschissensten betitelnd mit chromadernen Händen ihr Blut in Wände meißeln.
Die ihre Feinde gegen tote Idole verteidigen, Kunst schaffen, selbstzerreißend auf vollen halben leeren Kästen lagern, nur und zu viel Liebe und tanzende Sterne für den Menschen als Übergang und Untergang gebären.
Die in krokodilgrünen Blitzen, in eisblauen Strömen und rostbraunem Glas umherschwirren, als Dividuum ihre reine Seele teilen.
Die zurücklassen und nur zu gern zurückblickend Fehler verfolgen, sie zu illuminieren, zu schlucken, zu zersetzen, auf der tödlichen Suche nach dem Heiligtum der übernatürlichen extrabrillianten intelligenten Güte der Seele.
Die einen Weg mit unendlichen Metern nach nicht einmal einhundert
schon zweifelnd beschreiten, sich fallen lassen und den Kopf sinkend auf kühlen Tresenkanten zur Ruhe zwingen.
Die kunstvoll verzierte Rahmen betrachten, vergessen, was dazwischen liegt und sich selbst nicht mehr anschauen, nur noch Augen haben für andere, blutunterlaufen, glasig, erweitert für andere.
Die den Barfrauen die Hand reichen, in einem Zug den Absinth vollziehen nach akribischem Nähren mit klaren Wassertropfen und jeden Wein und allen Cognac verraten für ein kühles Bier und modrigen Drehtabak.
Die stolz ein Geweih aus Herz tragen zum Bäcker, zum Friseur zur Bahn und zurück zur Einen, die noch nicht lang die Eine war und aufgegeben wird, für eine, die zur neuen Einen werden muss, denn so läuft es doch, so läuft es doch.
Die alt sein wollen ohne Blindheit und Tod und sich selbst an Hauswänden zerschmettern, sich umstoßen und jung versickern zwischen aufgebrochenen Bürgersteigen und sich nie berührenden Gleisen und Wurzelwerk, das stark hält, das nicht einmal danach suchte, stark zu sein.
Die froh zittern und frieren für die vergängliche Hoffnung auf das kalte Erstarren, um auf ewig zu bleiben als marmorweiche nachtschwarze Kontur, als Meisterwerk des langsam sterbenden Meisterkünstlers.
Die, deren Blicke umschlossen von Lidern mit dem Schwung venezianischer Gondeln mich fickten, auf ein Neues, sich in meinen Händen zerstoßen, weil das Sterben ihnen gut tut.
Die mich verließen und einen Teil von mir mitrissen, die so nie ohne mich sind, ich bin ohne sie.

Ich sah die besten Köpfe und die Körper darunter.
Ich gab den meinen, für das eine Ziel, für die eine Freiheit, für eine Ewigkeit, für eine Nacht.
Für die eine Suche, die ihr Ende fand im moskitoverseuchten
Drogenwahn einer Hippiebibel.
Die ihr Ende fand mit einem Zuchtbullenhorn durch die Rückenwirbel, Lungenflügel, Rippenbögen.
Die ihr Ende fand in Ginsbergs gellendem Geheul.
Die ihr Ende fand auf der Rückbank eines Taxis zwischen stechend weißen Fassaden der Gran Via im Madrid der zwanziger Jahre.
Die ihr Ende fand hockend vor einem Berliner Hauseingang bei Nacht oder in flackernden Kellergewölben des Pariser au chat noir.
Ich konnte mich finden.
Ich bin genau dort, draußen vor der Bar mit der Schwingtür, den Blick auf die enge Kreuzung.
Ich rauche, trinke Bier.
Ich fühle den warmen, stickigen Stadtwind, sitze an der Ecke unter der blassroten Markise.
Du sitzt neben mir und sagst: Komm, gehen wir und kaufen zwei Flaschen Wein und fühlen uns wenigstens ein Mal.
Ich will spüren, was wir morgen nie sein können.

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