Du bist eine Festung – Lyrik

Du bist eine Festung
aus schwerem, altem Stein gehauen.
Deine Macht und dein Stolz
glänzen von jedem hohen Turm und jeder Zinne,
sie besingen die Pracht der Stadt im Innern,
sie zu schützen, ehrfürchtig zu wahren.

Ich bin nur ein Nomade,
ein Wanderer auf seinem Weg.
Ich klopfe an dein Tor, vorsichtig, bestimmt,
ich warte, betrachte die Verzierungen
in den geschmiedeten Beschlägen,
streiche über den Staub,
lege einen Glanz frei
wie Morgenröte in einer Träne.
Nichts rührt sich.

Ich trete einen Schritt zurück,
lege beide Hände aneinander
und flüstere ein Gebet hinein.
Wind kommt auf,
er reißt an mir, an meinen Fingern,
wirbelt das Wort hinauf.

Ich wende mich ab
und gehe Schritt für Schritt
einen Tag, ohne zu rasten.
Als die Sonne vor mir im Wüstenstaub versinkt,
blicke ich zurück.
Deine Turmspitzen glühen,
senden deine Pracht ungebrochen zu mir.

Das Wort findet vielleicht einen Weg,
den ich nicht gehen kann,
überwindet die Mauern
und sinkt wie kühler Nebel
in die Mitte, hin zum Thron
und hinein in das kleine Mädchen.
Das Wort beruhigt die Seele
und wärmt das Herz der großen Königin,
die sie sein wird,
weil sie es sein muss.
Das Wort schlägt ihre Augen auf,
sieht vor sich im Staub eine knospende Blüte.

Als ich den Horizont längst überschritten habe,
spüren meine baren Füße die Welt erzittern.
Ich lächle, ich lache,
Hoffnung findet einen Weg.
Ich tanze und jubiliere,
das Tor wurde von innen geöffnet.

Du bist eine Festung ist während des Angeprangert Spoken Word Camps entstanden. Dort konnte ich einen bunten Haufen junger Menschen erleben, von denen jeder eine Geschichte hat und dadurch Teile in sich trägt, die er/sie nicht annehmen kann. Besonders einer jungen Frau widme ich dieses Gedicht. Sie musste mit ihrer Familie vor mehreren Jahren aus dem Irak flüchten, nachdem der IS ihre Stadt besetzt hatte. Über die ganze Zeit des Camps hinweg fiel sie mir auf – wie sie schweigend, in perfekt aufrechter Haltung bei den anderen stand und doch nie teilnahm am Geschehen. Sie verzog keine Mine, die Hände in den Taschen, der Blick leicht gesenkt. Trotz dessen lebte sie eine selbstverständliche Hilfsbereitschaft und nahm sich dem an, was sie leisten konnte. Gemeinsam mit der Leiterin Jessy James LaFleur übersetzte sie ihre Texte vom Kurdischen ins Deutsche und konfrontierte sich mit ihrer Herkunft und der heutigen Situation. Als ich ihren Blick einmal auffing und ihm für ein paar Sekunden standhielt, überraschten mich die klare Tiefe, die Trauer und die Furchtlosigkeit. Es war anstrengend, ich hätte beinahe weggeschaut. Normalerweise sehe ich solche Augen nicht, wenn ich in den Städten meiner Heimat unterwegs bin.
Sie steht für mich stellvertretend für viele, die versuchen ihre Haltung zu bewahren und Stärke zu zeigen.
Doch wenn es an die Kunst geht, was sind wir da ohne unsere Schwächen? Sie sind das, was mich anderen Menschen nah sein lässt, sie zeigen mich als Wesen wie sie.
Ich konnte durch Mahira eine Menge lernen und auch ihr etwas geben. Immer wenn ich die junge Frau sah, dachte ich ständig einen Satz. Es ist ein Zitat von Absztrakkt (Schwarze Sonnen, Amewu): Die Tür deiner Zelle geht nur von innen auf. Am dritten Tag des Camps entstand Du bist eine Festung.

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